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Glas im Mittelalter

Geschichte, Herstellung und Verarbeitung


Glas (ahd., mhd. glas = Glas, aus Glas gemachtes, Trinkglas, Glasgefäß, Fensterglas, Spiegel, Brille. In der Sprache der Germanen stand das Wort für Bernstein, da die Römer Glasperlen wie Bernstein als Schmuckstücke handelten; lat. vitrum.)


Geschichte der Glasproduktion

Glas ist eine künstliche Substanz, die wohl erstmals um 1500 v. Chr. in Ägypten in größerem Umfang hergestellt wurde. Es wird gewonnen, indem ein Gemenge aus 60 – 70% Sand (Siliziumdioxid SiO2, das z.B. als Quarzsand oder Flint vorliegt) und aus gleichen Teilen Kalk (CaO, enthalten in Kalkstein, Kreide, Muschelschalen) und Alkalien (z.B. Soda [Natriumkarbonat Na2CO3], pflanzl. Aschen, Pottasche [Kaliumkarbonat K2CO3]) verschmolzen wird. Die Alkalien dienen dabei (als „Flussmittel“) zur Erniedrigung des Schmelzpunktes des Siliziumdioxids (von ca. 1.410° C auf ca. 1.150° C). Zusätze von Metalloxiden (z.B. Kupfer-, Eisen- oder Silberoxid) ergaben die unterschiedlichsten Farbschattierungen.


Entwicklung der Glasverarbeitung

Waren Glasgefäße ursprünglich um einen festen Kern oder in einer Form gegossen worden, so kam gegen Ende des 1. Jh. v. Chr. – wahrscheinlich in Syrien – die Technik des Glasblasens mit der eisernen Glasmacherflöte auf, welche eine schnellere, billigere Erzeugung sowie einen größere Formenvielfalt der Glasartikel möglich machte. Diese Technik war später im ganzen Röm. Imperium verbreitet und überlebte dessen Untergang, wenn es auch zu einer Verschlechterung von Glasqualität, Farb- und Formgebung und Dekortechnik kam.


Entwicklung der Glasherstellungstechniken

Die Kunst, aus Sand Glas zu erschmelzen, war schon in vorgeschichtlicher Zeit bekannt, aber erst die Erfindung der eisernen Glasflöte (in Syrien, kurz vor der Zeitenwende) ermöglichte die Herstellung einer Vielfalt von Glasformen. Die Römer brachten die neue Technik (ars vitraria) unter anderem auch in ihre germanischen Besitzungen. So entstanden etwa bei Trier und in Köln bedeutende Glashütten, die jedoch den Untergang des Römerreiches nicht überlebten.


Aufblühen und Verbreitung der Glasherstellung

Vom 9. Jh. an blühte auch nördlich der Alpen das Glashüttenwesen wieder auf, und zwar zunächst als Domäne der großen Abteien. Eine um 800 arbeitende Glashütte bei Trier lieferte Flachglas bis nach Schweden. Um 900 ist im Kloster Reichenau ein Bruder Mattheus Vitriarius belegt; um 1000 florierte die Tegernseer Glasmacherei. Das wohl wichtigste Zentrum der europäischen Glasmacherei bildete sich im 10. Jh. in Venedig. Wegen der großen Feuersgefahr und um die Verfahrenstechniken besser geheim halten zu können, wurde das Gewerbe 1291 auf der Insel Murano konzentriert. Venezianische Glasmacher hatten sich auf die Verwendung syrischer Soda als Flussmittel spezialisiert und vermochten seit der ersten Hälfte des 15. Jh. hochreines Glas herzustellen, das dem Bergkristall glich und daher als „cristallo“ bezeichnet wurde. Ausschlaggebend für die Glasfertigung war – nachdem die Kirche die im Heidentum üblichen gläsernen Grabbeigaben und auch liturgisches Gerät aus Glas verboten hatte – der große Bedarf an Glas für die Fenster (glaswerc) einer wachsenden Zahl von Kirchen. Die Herstellung von Harnschaugläsern, Apothekengefäßen, Trinkbechern, Krügen oder Flaschen war dagegen von minderer Bedeutung.


Verbreitung und Techniken der Glasherstellung

Frühe urkundliche Erwähnung von Glashütten findet sich für das Zisterzienser-Kloster Doberan bei Rostock (1268), für den Bayer. Wald (Glashütt, eine Gründung des Klosters Tegernsee; 1305), für das Fichtelgebirge (Bischofsgrün, 1340), für das österr. Waldviertel (14. Jh.), für das böhmische Winterberg (1359) und für den Nürnberger Reichswald (1363). Es folgen Beurkundungen für ein Hütte im Amt Suhl (Thüringen; Beginn der 60er Jahre des 14. Jh.), für Solling (an der Weser; 1397) und für den Spessart (in einer Zunftordnung von 1406).

Da zur Glasherstellung (außer Sand) große Mengen von pflanzlichen Aschen (Stroh-, Schilf-, Buchen-, Eichen- oder Farnasche bzw. von ®Pottasche oder ®Soda zur Erniedrigung der Einschmelztemperatur) und Holzkohle (zum Erhitzen des Schmelzgutes) benötigt wurden, fanden sich Glashütten stets in waldreichen Gegenden, so in den Vogesen, im Pfälzer Wald, im Spessart, im Fichtel- und Riesengebirge, im Bayerischen Wald, im Thüringerwald, im Schwarzwald und im Böhmerwald.


Glasbläserei



Glasbläserei im Mittelalter




Die Kunst, mit der eisernen, 1 – 1,5 m langen Glasbläserpfeife (deren hintere Hälfte aus Holz bestand, um sich die Hände nicht zu verbrennen) aus einem flüssigen Glasposten Hohlkörper zu formen, war schon von röm. Glashandwerkern zur Vollendung gebracht worden. Die röm. Tradition führten Glasbläser im Frankenreich fort, in deren Werkstätten meisterhafte Glasgefäße entstanden. An die Meisterschaft merowinger- und karolingerzeitlicher Glashandwerker konnten erst wieder venezianische Glasbläser des SMA. anknüpfen.




Glasbläserei im Mittelalter




Handwerkszeug und Verfahren

Zum Handwerkszeug der Glasbläser gehörten außer der Pfeife eiserne Scheren, Zangen und Stichel sowie hölzerne Pitschen (zum Formen). Gearbeitet wurde direkt vor dem glutheißen ®Glasofen. Mit dem Vorderende der Glaspfeife wurde ein zähflüssiger Glasposten aus dem erhitzten Keramiktiegel entnommen, mit der feuchten Pitsche oder auf einer glattpolierten Steinplatte vorgeformt und dann kurz und kräftig zu einer Blase (dem „Külbel“) in der gewünschten Form und Größe aufgeblasen. Um das an der Pfeife sitzende Külbel mit Zange oder Pitsche zu formen, rollte der Bläser die Pfeife in der Horizontalen, wobei er sie wahrscheinlich auf seinen Oberschenkel stützte. Möglicherweise wurden zum Formen auch Sand- und Holzmodeln benutzt. Ein Helfer brachte gläserne Schmuckelemente, Füße oder Henkel an. War das Werkstück fertiggestellt, tauchte der Glasbläser die Spitze eines Eisenstichels in die Glasschmelze und heftete sie dann an den Boden des neuen Gefäßes. Mit einem Tropfen kalten Wassers wurde das am Stichel gehalterte Werkstück von der Pfeife gesprengt. Danach wurde der Rand ausgeformt und geglättet, und zuletzt der Stichel vom Boden abgesprengt, wobei eine schartige Narbe hinterblieb.


Glasgefäße



Wendelzeitlicher KlauenbecherSchale mit Fadenverzierung aus Gotland


Funde in Siedlungs-, Kirchen- und Pfalzarealen, in Gräbern und Abfallgruben belegen, dass es in der Merowinger- und Karolingerzeit eine breite Palette von Gebrauchsgläsern wie Schalen und Bechern gab. Standardtrinkgefäße der Epoche waren gläserne Sturz-, Trichter-, Glocken-, Kugel-, Rüssel-, Traubenbecher, Trinkhörner und Tummler.

Glaswerkstätten für Flach- und Hohlglas bestanden nachweislich in Ribe (Dänemark), in Haithabu und auf Gotland, in Kordel bei Trier, Augsburg und Paderborn, im Spessart, in Maastricht, in den Ardennen zwischen Maas und Ourthe und in den Argonnen. Schwerpunkte des fma. Glashandels lagen am Rhein und seinen Nebenflüssen.

Unsere Glasrepliken

Glasschale mit Fadendekor nach Original aus Deutschland, 5. Jahrhundert